Erste Entscheidung des BGH zum Umgangsrecht des biologischen Vaters nach der gesetzlichen Neuregelung

08.11.2016 17:14

Beschluss vom 5. Oktober 2016 - XII ZB280/15 

Der u.a. für das Familienrecht zuständige XII.
Zivilsenat hat entschieden, dass die beharrliche Weigerung der rechtlichen
Eltern, einen Umgang ihres Kindes mit seinem leiblichen Vater zuzulassen,
allein nicht genügt, um ein Umgangsrecht abzulehnen.

Aus der Beziehung des aus Nigeria stammenden
Antragstellers mit einer verheirateten Frau sind die Ende 2005 geborenen
Zwillinge hervorgegangen. Die Mutter lebt bereits seit August 2005 wieder mit
ihrem Ehemann und den Kindern zusammen, darunter auch die im Jahr 1996, 1998
und 2000 geborenen, gemeinsamen Kinder der Eheleute. Der mittlerweile in
Spanien lebende Antragsteller begehrte seit der Geburt der Zwillinge Umgang mit
ihnen, was die Mutter und ihr Ehemann wiederholt abgelehnt haben. Im Januar
2006 leitete der Antragsteller das erste Umgangsrechtsverfahren ein. Nachdem
das Familiengericht Umgangskontakte angeordnet hatte, hob das Oberlandesgericht
diese Entscheidung auf, weil ein Umgangsrecht des biologischen Vaters, der
nicht in einer sozial-familiären Beziehung zu dem Kind stehe oder gestanden
habe, nicht vorgesehen sei. Die Verfassungsbeschwerde des Antragstellers blieb
erfolglos. Schließlich stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
mit Urteil vom 21. Dezember 2010 (FamRZ 2011, 269) fest, dass die Versagung
jeglichen Umgangs ohne eine Prüfung der Frage, ob ein solcher Umgang dem
Kindeswohl dienlich wäre, eine Verletzung von Art. 8 EMRK* darstelle. Daraufhin
hat der Antragsteller im März 2011 erneut eine Umgangsregelung beantragt.
Während das Amtsgericht wiederum einen monatlichen, begleiteten Umgang
angeordnet hatte, hat das Oberlandesgericht auf die Beschwerde der rechtlichen
Eltern den Umgangsrechtsantrag zurückgewiesen.

Der Senat hat die Entscheidung des
Oberlandesgerichts auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers aufgehoben.
Solange die Vaterschaft eines anderen Mannes besteht - hier des Ehemanns, der
die rechtliche Vaterschaft gemäß § 1592 Nr. 1 BGB** erlangt hat, weil er zum
Zeitpunkt der Geburt der Zwillinge mit der Mutter verheiratet war - hat der
leibliche Vater, der ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat, gemäß §
1686 a Abs. 1 Nr. 1 BGB*** ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn der Umgang
dem Kindeswohl dient. Diese Neuregelung ist mit Wirkung vom 13. Juli 2013 in
das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt worden. Grund hierfür war die vom
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zuvor u.a. auch in dem den
Antragsteller betreffenden Verfahren festgestellte Verletzung von Art. 8 EMRK.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts beruht
auf unzureichenden Ermittlungen. Das folgt bereits daraus, dass die Eltern sich
geweigert haben, die Kinder über ihre wahre Abstammung zu unterrichten, die
Sachverständigen den Kindern deshalb vorgetäuscht haben, das Gutachten im
Rahmen der Zwillingsforschung zu erstellen und die Gerichte die zum Zeitpunkt
der Begutachtung bereits neun Jahre alten Kinder nicht angehört haben. Der
Senat hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass nicht nur das
Familiengrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG****, sondern auch das von Art. 6 Abs. 2
Satz 1 GG***** geschützte Elternrecht, über die Information des Kindes
hinsichtlich seiner wahren Abstammung zu bestimmen, grundsätzlich in den Fällen
eingeschränkt ist, in denen der leibliche Vater ein Umgangsrecht nach § 1686 a
BGB begehrt. Das Kind ist vor einer Anhörung bzw. einer etwaigen Begutachtung
bei entsprechender Reife über seine wahre Abstammung zu unterrichten, sofern
ein Umgang nicht bereits aus anderen, nicht unmittelbar das Kind betreffenden
Gründen ausscheidet. Weigern sich die rechtlichen Eltern, dies selbst zu tun,
steht es im Ermessen des Tatrichters, in welcher Art und Weise er für eine
entsprechende Information des Kindes Sorge trägt. Ist einziger Grund für das
Scheitern des Umgangs die ablehnende Haltung der rechtlichen Eltern und die
damit einhergehende Befürchtung, dass diese mit einer Umgangsregelung psychisch
überfordert wären und dadurch mittelbar das Kindeswohl beeinträchtigt wäre,
sind zudem strenge Anforderungen an die entsprechenden Feststellungen zu stellen.

Vorinstanzen:

AG Baden-Baden - Beschluss vom 8. März 2013 -
6 F 80/11

OLG Karlsruhe -  Beschluss vom 1. Juni 2015 - 20 UF 63/13 

*Art. 8 EMRK

(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung
ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.

(2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses
Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer
demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche
Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der
Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral
oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

** § 1592 Nr. 1 BGB

Vater eines Kindes ist der Mann, der zum
Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist,

*** § 1686 a Abs. 1 Nr. 1 BGB

Solange die Vaterschaft eines anderen Mannes
besteht, hat der leibliche Vater, der ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt
hat, ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn der Umgang dem Kindeswohl dient
(...).

Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG

**** (1) Ehe und Familie stehen unter dem
besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

***** (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind
das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.
Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

Karlsruhe, den 03. November 2016

Pressestelle des Bundesgerichtshofs

76125 Karlsruhe

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 22.12.2015

- 13 UF 143/15 -

Unabänderliche Unterhalts­vereinbarung kann
bei Existenzgefährdung des Unterhalts­pflichtigen abgeändert werden

Existenzgefährdung bei Verbleib von weniger
als dem notwendigen Selbstbehalt nach Zahlung des Unterhalts

Haben die geschiedenen Eheleute eine
Unterhalts­vereinbarung getroffen und zugleich vereinbart, dass diese
unabänderlich ist, so kann sie ausnahmsweise nach Treu und Glauben dennoch
abgeändert werden, wenn die Zahlung des Unterhalts zu einer wirtschaftlichen
Existenzgefährdung beim Unterhalts­pflichtigen führen würde. Eine solche ist
dann anzunehmen, wenn dem Unterhalts­pflichtigen nach Zahlung des Unterhalts
weniger als der notwendige Selbstbehalt verbleibt. Dies geht aus einer
Entscheidung des Kammergerichts Berlin hervor.

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom
21.01.2016

- 12 UF 170/15 -

Ehepartner kann Mitwirkung an
Mietvertrags­entlassung schon vor der Scheidung verlangen

Entlassung aus dem Mietverhältnis gilt für künftige
Verbindlichkeiten und lässt zuvor entstandene Ansprüche unberührt

Überlässt ein Ehegatte nach der Trennung die
zuvor von ihm oder von beiden Ehegatten gemeinsam gemietete Ehewohnung dem
anderen Ehegatten zur alleinigen Nutzung, kann er bereits während der Trennung
und nicht erst nach Rechtskraft der Scheidung verlangen, dass der in der
Wohnung verbleibende Ehegatte an der gegenüber dem Vermieter abzugebenden
Erklärung mitwirkt, durch die der ausgezogene Ehegatte bei der Scheidung aus
dem Mietverhältnis ausscheidet. Der in der Wohnung bleibende Ehegatte kann
seine Mitwirkung auch nicht davon abhängig machen, dass sich die Ehegatten
zuvor über die Verteilung der das Mietverhältnis betreffenden Kosten geeinigt
haben


—————

Zurück